Leere Straßen und Plätze, Rehe und andere scheue Wildtiere trauen sich plötzlich in Innenstädte und die Bevölkerung in Indien konnte das erste Mal seit 30 Jahren den Himalaya sehen, der nicht mehr in eine Schmutzwolke eingehüllt war. Während die Menschheit mit dem Corona-Virus ringt, können Ökosysteme weltweit im Shutdown aufatmen.
Wie sehr sich der erste Corona-Lockdown in Deutschland ausgewirkt hat, zeigt das ZDF in einer Datenrecherche: Demnach ging die Luftbelastung mit Stickstoffdioxid (NO₂) im Frühjahr 2020 in allen untersuchten Städten stark zurück.
Auch die Treibhausgasemissionen haben sich durch die veränderten Gewohnheiten in der Pandemie reduziert. Weniger Reisen, weniger industrielle Aktivitäten und Stromerzeugung während der Corona-Krise haben dazu geführt, dass die globalen Emissionen im Jahr 2020 um bis zu sieben Prozent gesunken sind. Das sind der größte absolute Rückgang aller Zeiten und der größte prozentuale Rückgang seit dem Zweiten Weltkrieg. So lautet das Ergebnis des jüngsten Emissions Gap Report 2020, der vom UN-Umweltprogramm veröffentlicht wird.
Der Sektor mit dem größten Emissionsrückgang war dem Bericht zufolge der Verkehr und hier vor allem die Luftfahrt. „Der für 2020 erwartete Rückgang der Emissionen entspricht einer Reduzierung der globalen Erwärmung um 0,01°C bis 2050“, schreibt Inger Anderson, Exekutivdirektorin des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, im Vorwort des Berichts.
Der kurzzeitige positive Klimaeffekt beeinflusst Langzeittrends kaum
Diese Nachrichten klingen zwar im ersten Moment erfreulich, zeigen letztlich jedoch die Schwäche unseres aktuellen Lebensmodells, das elementar mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe und damit verbundenen CO2-Emissionen verknüpft ist. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen muss aus dem klimapositiven Einmaleffekt eine dauerhafte Verhaltensänderung resultieren.
Andernfalls warnen die Vereinten Nationen, dass der für 2020 zu erwartende starke Rückgang der Emissionen einen „zu vernachlässigenden“ Effekt auf die Langzeittrends der Erderhitzung habe. Nach UN-Schätzungen müssten die weltweiten Treibhausgasemissionen in diesem Jahrzehnt jedes Jahr um 7,6 Prozent sinken, um das Pariser Klimaabkommen umzusetzen. Insgesamt steuern wir noch immer auf eine Welt zu, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 3,2°C wärmer ist, warnen die Wissenschaftler in dem Bericht.
Die Chance liegt in dauerhaften Veränderungen unserer Gewohnheiten
Nichtsdestotrotz kann die Corona-Pandemie durchaus auch langfristig für mehr Klimaschutz sorgen.
Zum einen wurde der erste Lockdown in der Klimafrage von vielen Menschen als einschneidender Moment wahrgenommen, der sie zum Nachdenken gebracht hat. Eine ganz überwiegende Mehrheit der Befragten der Studie „The New Normal?“ der Organisation „More in Common“ sagte, die Veränderungen durch den Lockdown habe ihnen gezeigt, dass CO2-Einsparungen tatsächlich möglich sind. Im Zuge der Corona-Hilfen forderten außerdem viele Bürgerinnen und Bürger, finanzielle Unterstützung auch an Umwelt- und Klimaauflagen zu koppeln. Der Druck auf Politikerinnen und Politiker, echte Klimaschutzmaßnahmen durchzusetzen wächst also.
Und zum anderen wurden – gezwungenermaßen – viele neue Verhaltensmaßnahmen erlernt, die künftig auch das Klima schützen können.
Fahrradhändler konnten sich zum Beispiel sich vor dem Ansturm Kaufwilliger kaum retten, selbst die 2021-Modelle sind inzwischen oft schon ausverkauft. Während der Pandemie haben viele Menschen das erste Mal seit langem ihre Räder aus dem Keller geholt, oder vielleicht sogar das erste Mal in ihrem Leben das Fahrrad als echtes Verkehrsmittel und nicht nur als Freizeitsportgerät genutzt. In vielen Städten der Welt sind so genannte PopUp-Fahrradwege entstanden, um den „neuen“ Radfahrern sicheres Radfahren zu ermöglichen. In den Städten boomt das Skateboard-, Inline- und Rollschuhfahren; Menschen erobern sich den öffentlichen Raum zurück und entdecken, wie schön es auch zuhause sein kann. Statt Reisen in ferne Länder findet Erholung nun an den nahen Berge, Flüsse und Seen statt.
Viele Menschen mussten mit dem ersten Lockdown plötzlich von einem Tag auf den anderen von zuhause arbeiten. Und siehe da: Es funktioniert! Zoom, Microsoft-Teams, Skype – diese Begriffe sind inzwischen allen ein Begriff und werden ganz selbstverständlich eingesetzt. Menschen haben gelernt, dass Meetings, Workshops, ja ganze Konferenzen, online stattfinden können. Auf diese Weise lassen sich viele unnötige Businessreisen ersetzen und Pendlerverkehr reduzieren.
Unternehmen können die dauerhafte Trendwende unterstützen
Damit diese positiven Trends sich fortsetzen, braucht es natürlich Unterstützung. Unternehmen können dieses klimapositive Verhalten fördern, indem sie Home-Office nicht nur erlauben, sondern aktiv befördern. Klar, auch Büroarbeit hat seine Vorteile; es gibt den kurzen „Dienstweg“ und manchmal ist die Konzentration dort schlicht besser als zuhause. Aber selbst wenn Menschen nach der Pandemie nicht mehr fünf Tage die Woche im Büro präsent sein müssen, sondern vielleicht nur noch zwei oder drei Tage, kann das Emissionen im Verkehr reduzieren und Staus vermeiden. Um noch mehr Menschen zum Fahrrad fahren zu bewegen, können Unternehmen Fahrrad-Leasing anbieten. Arbeitgeber können darüber hinaus mit der nötigen Vorbereitung und Ausstattung dafür sorgen, dass Online-Zusammenarbeit auch nach der Pandemie reibungslos funktioniert und gut gemanagt ist. Sie können Leitlinien festlegen, wann Business-Reisen nötig sind und welche sich besser vermeiden lassen.
Insgesamt zeigt die Pandemie also wie kein vergleichbares Ereignis in der Nachkriegsgeschichte, dass die Menschen in der Lage sind, ihre Gewohnheiten anzupassen und auch radikale Veränderungen umzusetzen. So sehr manche Wirtschaftsbereiche dadurch gelähmt wurden, so sehr wirkt der Shutdown in anderen Bereichen als Motor für Innovation. Dafür zu sorgen, dass die guten Veränderungen auch nach der Pandemie Bestand haben - etwa ein verantwortungsbewussteres Reiseverhalten, ob privat oder geschäftlich - ist unsere Herausforderung für die nächsten Wochen und Monate.