Die letzten zwei Jahre kann man in mehrfacher Hinsicht als entscheidend im Kampf gegen den Klimawandel betrachten. Seit der Veröffentlichung des Sonderberichtes "1,5 °C globale Erwärmung" (SR1.5) durch den Weltklimarat im Herbst 2018 und der sich kurze Zeit später formierenden Fridays for Future Bewegung ist die Dringlichkeit für aktiven Klimaschutz nicht nur Expertengruppen, sondern auch der breiten Öffentlichkeit bewusst geworden. Zudem hat uns die Corona-Pandemie dabei geholfen, unsere nationalen Klimaziele nach dem Kyoto-Protokoll zu erreichen.
Diese Entwicklungen gehen einher mit weitreichenden Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – sowohl in der EU als auch in Deutschland. Zu nennen sind hier insbesondere die Einführung einer Corporate Social Responsibility (CSR)-Berichtspflicht 2017, die Verabschiedung des Deutschen Klimaschutzgesetzes sowie die Einführung einer CO2-Besteurerung auf fossile Brennstoffe im Januar dieses Jahres. Hinzu kommt das Lieferkettengesetz, das international agierende Großkonzerne ab 2023 zur Einhaltung von Menschenrechtsstandards auch bei ihren Lieferanten in die Pflicht nehmen soll.
Für Unternehmen bedeuten diese Entwicklungen zunächst weitreichende Veränderungen. Investitionen müssen unter Berücksichtigung des langfristigen Effekts der CO2-Steuer neu auf ihre Wirtschaftlichkeit hin untersucht werden. Das Produkt- und Dienstleistungsportfolio muss auf die Anforderungen und Erwartungshaltung von Kunden, Investoren und anderen Stakeholdern angepasst werden. Die Zusammenarbeit mit Lieferanten muss auf Grundlage von Nachhaltigkeitsprinzipien neu strukturiert werden. Und es sind an vielen Stellen wesentlich detailliertere Daten als bisher nötig, um die aus Nachhaltigkeitssicht "richtigen" Entscheidungen zu treffen.
Diesen Herausforderungen stehen aber auch mindestens ebenso große Chancen gegenüber. Unternehmen, die mit strategischer Weitsicht handeln und die Geschäftsprozesse entsprechend den Entwicklungen anpassen, stellen die Weichen für das wirtschaftliche Wachstum von morgen.
Resilienz und Innovationskraft durch ganzheitliches Klimamanagement
Gute Gründe also, ein ganzheitliches Klimamanagement einzuführen und so Schritt für Schritt die Grundlagen für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zu legen. Doch wo fängt man an? Welche Voraussetzungen sind zu berücksichtigen und wovon hängt der Erfolg ab?
Ein ganzheitliches Klimamanagement setzt sich nicht lediglich mit einzelnen Aspekten auseinander (z.B. dem Thema Energieeinsparung), sondern bezieht sich systematisch auf die wirkungsvollsten Stellschrauben. Von besonderer Bedeutung sind hier die Emissionen, die gar nicht vom Unternehmen selbst verursacht werden, sondern in vor- oder nachgelagerten Wertschöpfungsschritten anfallen (sog. Scope 3-Emissionen). Bei produzierenden Unternehmen liegt der Anteil dieser indirekt verursachten Emissionen bei bis zu 80% oder sogar höher. Daher sollte sich eine ganzheitliche Klimaschutzstrategie nicht nur mit den selbst verursachten, standortbezogenen Emissionen auseinandersetzen, sondern auch klare Reduktionsziele und -maßnahmen in Bezug auf die Lieferkette festschreiben. Beispielhaft kann hier etwa das Startup KREATIZE, als eine der führenden On-Demand-Fertigungs-Plattformen, genannt werden. Das Unternehmen wurde kürzlich Deutschlands erste CO2-neutrale Beschaffungsplattform für Bau- und Industrieteile.
Klimaschutz als kontinuierlicher Verbesserungsprozess
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die Einführung eines Klimamanagements im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses und als langfristige Managementaufgabe zu verstehen. Den Ausgangspunkt bildet eine jährlich wiederkehrende Bestandsaufnahme, die meist in Form einer CO2-Bilanzierung durchgeführt wird. Dies bietet bereits einen sehr guten Überblick über die wichtigsten Emissionsquellen und Einsparungspotentiale. Darauf aufbauend erfolgt die Formulierung kurz- und mittelfristiger Reduktionsziele, die zugleich ambitioniert und planbar sein sollten. Denn zu häufig hört man von Unternehmen lediglich das Bekenntnis, dass diese bis 2050 klimaneutral wirtschaften wollen, aber nicht, wie dies erreicht werden soll. Hilfreicher ist hier eine möglichst verbindliche Verpflichtung zu Zielen, die sich idealerweise an wissenschaftlichen Vorgaben orientieren (sog. Science-based targets).
Auf dieser Basis wird dann ein Reduktionsplan erstellt, in dem verschiedenste Maßnahmen priorisiert und nicht zuletzt auch auf deren Kosteneffizienz (EUR je t CO2-Einsparung) hin beurteilt werden. Allerdings darf man auch „weiche“ Faktoren nicht vergessen, denn häufig sind es die im Gesamtkontext eher symbolischen Maßnahmen (z.B. nachhaltiges Büromaterial, nachhaltige Veranstaltungen), die von der Belegschaft wahrgenommen werden und die im geschäftlichen Alltag sichtbar sind.
Klimaneutralität umsetzen und kommunizieren
Trotz aller Bemühungen ist es noch ein sehr weiter Weg hin zur CO2-freien Wirtschaft. Da Unternehmen in vielfältige Abhängigkeitsverhältnisse und komplexe Lieferketten eingebettet sind, ist es für ein einzelnes Unternehmen heute noch gar nicht möglich, tatsächliche „CO2-Freiheit" zu erreichen. Klimaneutralität ist daher aktuell nur rechnerisch bzw. „bilanziell“ zu erreichen - also indem ein Unternehmen sicherstellt, dass alle nicht vermeidbaren CO2-Emissionen einer Periode durch entsprechende zertifizierte Klimaschutzprojekte ausgeglichen werden.
Eine ambitionierte Klimaschutzstrategie setzt voraus, dass die vollständige Vermeidung aller CO2-Reduktionen das unbedingte Ziel sein muss und Vorrang zu reinen Kompensationsmaßnahmen hat. Heißt konkret: wenn ich als Unternehmen die Wahl habe, Emissionen einzusparen oder zu kompensieren, sollte die Wahl immer zugunsten der Einsparung ausfallen. Beispielsweise wäre es deutlich sinnvoller, auf Strom aus regenerativen Quellen umzustellen, als den normalen deutschen „Graustrom“-Mix zu beziehen und die entstehenden Emissionen anschließend zu kompensieren. So ist auch der weit verbreitete Grundsatz "Vermeiden, Reduzieren, Ausgleichen" zu verstehen.
Allerdings lassen sich nur die wenigsten Emissionsquellen auf so einfache Art und Weise eliminieren wie im Beispiel von Strom. Für den Bereich Wärmeerzeugung wird es schon deutlich schwieriger, da z.B. die Umstellung auf eine Wärmepumpe umfassende bauliche Veränderungen erfordert. Noch schwieriger ist es häufig im Bereich Rohstoffe und Vorprodukte – schließlich lässt sich z.B. ein konventionelles Kunststoffgranulat nicht ohne weiteres gegen ein Granulat aus Bio-Kunststoff ersetzen. Hierzu sind umfassende Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen notwendig. Zudem sind alternative Materialien in vielen Bereichen nur in sehr geringen Mengen verfügbar.
Der Mechanismus der Klimaneutralität über externe Projekte bietet hier eine gute Gelegenheit für Unternehmen, die klimaneutrale Angebote etablieren wollen. Hatte dieser Mechanismus vor Jahren noch häufig zu Unrecht den Beigeschmack eines „modernen Ablasshandels“, ist diese Maßnahme heute anerkannt und wird von vielen Unternehmen weltweit praktiziert. Wirft man einen genauen Blick auf die zertifizierten Klimaschutzprojekte, wird deutlich, dass diese einen hohen Wirkungsgrad im Bereich des Klimaschutzes vorweisen und darüber hinaus wesentlich zur sozialen Entwicklung in den Regionen beitragen.
Für viele anfangs etwas ungewohnt ist die Tatsache, dass diese Klimaschutzprojekte häufig nicht bei uns in Deutschland angesiedelt sind, sondern bewusst in Entwicklungs- und Schwellenländern liegen. Dafür gibt es bei genauer Betrachtung sehr viele gute Gründe. Zum einen spielt natürlich das Thema Effizienz eine Rolle. In Entwicklungs- und Schwellenländern lässt sich pro EUR deutlich mehr Klimaschutz betreiben als bei uns in Deutschland, da die Kostenstruktur niedriger ist und man in der Regel auf einem deutlich geringeren technischen Niveau ansetzt. In diesem Kontext muss Klimaschutz als globale Aufgabe begriffen werden, und nicht als Wettbewerb zwischen Staaten.
Während die Emissionen in Deutschland beispielsweise seit 1990 um mehr als 40 Prozent gesunken sind, haben sich die Emissionen Chinas in der gleichen Periode mehr als verfünffacht. Das ist allerdings nicht alleine dem chinesischen Wirtschaftssystem vorzuwerfen. Um Kosten einzusparen, haben viele Industrieländer ihre Schwerindustrie nach Asien verlagert und tragen somit wesentlich zum rapiden Anstieg der Emissionen bei.
Um Missbrauch oder eine doppelte Vermarktung der Zertifikate auszuschließen, werden die Projekte zudem regelmäßig von renommierten Organisationen wie dem TÜV, SGS oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geprüft und zertifiziert.
Klimawandel und Nachhaltigkeit sind Themen, die in unserer Gesellschaft immer mehr an Relevanz gewinnen. Durch das Pariser Klimaabkommen hat sich die Weltgemeinschaft bereits in 2015 dazu bekannt, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften. Mit dem European Green Deal steht nun auch das Rahmenwerk für das europäische Ziel bis 2050 als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Diesem Ziel werden sich Unternehmen mit strategischer Weitsicht zunehmend anschließen. Allerdings ist für die langfristige Glaubwürdigkeit eines Unternehmens besonders wichtig, dass jede Aussage zur Klimaneutralität an ambitionierte Reduktionsziele gekoppelt sein muss - und Unternehmen in diesem Zusammenhang nachweisen, wie erfolgreich sie ihren angestrebten Reduktionspfad auch in der Realität umsetzen.
Autor: Dr. Christian Reisinger, ConClimate GmbH